Bericht über den Vortrag von Jörg Türschmann

Sie haben den Vortrag von Jörg Turschmann, Kunstgeplänkel und Kommerzverbrämung: wie Film und Fernsehen der 1960er sich zwischen Mainstream und Avantgarde neu orientieren”, im Rahmen unseres Workshops am 2. Mai 2019 verpasst? Hier bekommen Sie die wichtigsten Informationen.

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In seinem Abendvortrag beleuchtete Jörg Türschmann den Stellenwert von Film und Fernsehen der 1960er Jahre im Spannungsfeld von Mainstream und Avantgarde, das er im Vortragstitel mit den Schlagwörtern “Kunstgeplänkel” und “Kommerzverbrämung” fasste. Basierend auf Käte Hamburgers Idee der fingierten Autorschaft, bei der ein fingiertes Aussagesubjekt den Anspruch auf objektive Wahrheit, auf Wirklichkeit nur vortäuscht, arbeitete Türschmann anhand von vier konkreten Fallbeispielen sein Thema heraus: anhand des Autorenfernsehens von Narciso Ibanez Serrador, des Autorenkinos von Claude Chabrol und Rainer Werner Fassbinder, der Auseinandersetzungen zwischen Fritz Lang und Jean-Luc Godard sowie dem Stellenwert der bekannten Serien Dragnet und Stahlnetz, die als Vorläufer des Tatorts erachtet werden könnten. Narciso Ibanez Serrador begann 1956 mit seinen televisuellen Inszenierungen in einer Zeit, als alles möglich war: Das Franco-Fernsehen wurde gerade implementiert und Serrador begann u.a. Horrorfilme mit humoristischen Elementen zu inszenieren und kommerziell zu vermarkten. Kennzeichnend für sein Schaffen war die Herstellung eines Medienverbundes: In seinen Serien vermarktete Serrador seine Spielshows und umgekehrt. Ein Beispiel für eine sehr heterogene Serie, die eine Gemengelage aus avantgardistischen und Elementen des Mainstreams darstellte, war „Historias para no dormir“, die deutlich Adaptionen von Edgard Allan Poe, der Gothik-Literatur, aber auch des spanischen Volkstheaters aufwies. In seinem zweiten Beispiel, dem Autorenkino von Chabrol und Fassbinder, zeichnet Türschmann im Rahmen des sich während der 1960er Jahre neu profilierenden Novuelle-Vague-Kinos den Konkurrenzkampf zweier Filmemacher nach, die laut Türschmann hinsichtlich ihres politischen Engagements und ihrer ästhetischen Anbiederung in ihrem Schaffen jedoch gleichwertig gewesen seien. Fassbinder und Chabrol würden ihre Personen wie Insekten betrachten und dadurch einen Abstraktionsgrad erreichen, der soziale Gemengelagen darstellen lässt und gleichzeitig eine außenseitige Beobachterposition zulässt. Chabrols und Fassbinders Filme wurden retrospektiv häufig stärker anhand ihres „Looks“ denn gemäß ihren ästhetischen und politischen Implikationen beurteilt, wodurch sie quasi in den Mainstream eingegangen seien, so Türschmann.
In seinem dritten Fallbeispiel widmete sich Türschmann dem filmischen Schaffen Langs und Godards, das er mit dem Begriff des „Kunstgeplänkels“ charakterisierte. Insbesondere Godards „Le mépris“ von 1963 verdeutliche diesen Umstand par excellence. In diesem Film spielt Fritz Lang sich selbst als Regisseur, dessen Auftrag es war, die Odyssee zu inszenieren. Die Figur der Brigitte Bardot fungiere einerseits als Moment der Sexualisierung, andererseits würde hier eine Medienpersönlichkeit konstruiert, die in einen hochkulturellen Kontext eingebettet sei durch die Rezitation unterschiedlicher Passagen aus den Werken Hölderlins im Film. Insofern wertete Türschmann Godard als „Kasper“, der Collagen aus hochkulturellen Versatzstücken erschüfe, die zur Interpretation einlüden. Als letztes Exempel, das die Entwicklung televisueller Formate im Spannungsfeld von Mainstream und Avantgarde in Gestalt der „Kommerzverbrämung“ aufgreift, präsentierte Türschmann die beiden TV-Serien „Dragnet“ und „Stahlnetz“. Wie in Frankreich so existierten auch in der BRD vergleichbare Strategien der Authentifizierung im Fernsehen, die Horror und Krimi stets an vermeintlich „wirkliche“ Fälle anzuschließen versuchten (z.B. Serie “Der Polizeibericht meldet”). Die NDR-Produktion „Stahlnetz“ (1958–1968) hatte eine gewisse Omnipräsenz und könne als Metapher für die sich seit den 1960er Jahren rasant entwickelnde kriminologische Methode der Rasterfahndung gelten. Jedoch wandten sich die Macher des Stahlnetzes in ihrem televisuellen Schaffen dezidiert gegen das sog. Oberhausener Manifest von 1962, das eine avantgardistische Reform des bundesdeutschen Filmes anstrebte, und versuchten durch eine starke Akzentuierung des Regionalen den gewollt authentischen Charakter ihrer Serie zu stärken. So waren in den ersten Fällen stets landesweite Fahndungen Thema, der Mörder hielt sich stets in verschiedenen Regionen auf, was laut Türschmann als Versuch gewertet werden könne, auf filmischer Ebene die Bundesländer zusammenzuschweißen, die zusammengehören. Auch die US-amerikanische Serie „Dragnet“ (1951-1959), die der bundesdeutschen Serie als Inspirationsgrundlage gedient hatte, hätte sich um Inszenierung des Authentischen bemüht: So beginne die Serie wie frühe Feuilleton-Romane, mit einem Panorama-Blick über die Stadt, die als Montage des Disparaten auf engstem Raum funktioniert habe, so Türschmann. Die Krimi-Serie „Aktenzeichen XY ungelöst“ (1968-2003) könne als Zäsur des Genres gewertet werden, da hier im Gegensatz zum Stahlnetz das Authentische, Dokumentarische überbetont worden sei. Seine Ausführungen beschloss Türschmann mit einigen zusammenfassenden Anmerkungen sowie weiterführenden Fragen und Gedanken zum Spannungsfeld von Mainstream und Avantgarde im Bereich des Film- und Fernsehschaffens. So stellte er zum einen heraus, dass das Grundprinzip der Collage bei den genannten Serien und Filmen der 1960er Jahre entscheidend gewesen sei, das Erbe von Strömungen aus den 1920er Jahren, die als hochkulturelle Versatzstücke genutzt worden seien. Zum anderen warf er die Frage danach auf, ob sich zukünftige Forschung in diesem Feld stärker mit dem dokumentarischen, dem emphatischen Charakter der Avantgarde beschäftigen müsse, da es doch letztlich das avantgardistische Subjekt sei, das sich bei der Inszenierung eines Films oder einer Serie als Authentifizierungsstrategie immer selbst mit ins Spiel brächte.

Ann-Kristin Kurberg Aline Maldener